Geht man heute die verlassenen Hafenquartiere um die Bremer Nordstraße entlang, so kann man sich kaum vorstellen, dass dort einmal reges Leben herrschte. Den meisten Bremern ist
nicht bekannt, dass hier vor gar nicht langer Zeit Griechen das wirtschaftliche und soziale Leben wesentlich mitgestaltet haben. Die griechische Szene dort ist seit den 80er Jahren verschwunden; gut eintausend Griechen leben heute noch in Bremen.
So beschränkt sich der Kontakt zu Griechenland heutzutage bei vielen Bremern auf kulinarische Genüsse im griechischen Lokal um die Ecke. Um dem Abhilfe zu schaffen, hat der Historiker Hans Kloft die vielfältigen Dimensionen bremisch-griechischer Kontakte im vorliegenden Sammelband dokumentiert.
In elf Kapiteln gibt der Band Einblicke in die historische Entwicklung und die unterschiedlichen Facetten der Beziehung seit dem 19. Jahrhundert. Politische und wirtschaftliche Interessen auf der einen, kulturorientierte und idealisierte Verklärung auf der anderen Seite – der doppelte Zugriff auf Griechenland ist bis heute charakteristisch und spiegelt sich in der Verschiedenheit der einzelnen Aufsätze. Die maritime und wirtschaftliche Komponente greifen die Kapitel über den spektakulären Schiffahrtsvertrag von 1847 und über die Beziehung der Bremer Werften zu Aristoteles Onassis und griechischen Reedern auf. Ein umfangreicher Aufsatz analysiert die Lebenssituation der Griechen im Hafenrandgebiet von den Anfängen bis heute und führt damit mitten in die Sozialgeschichte der Stadt. Kulturell und zugleich politisch waren die zeitgenössischen Reise- und Presseberichte, die um konkrete Informationen über Land und Leute bemüht waren.
Dagegen war die humanistische Bildung auf den Gymnasien für ein idealisiertes Griechenlandbild vor allem in den Köpfen des Bremer Bürgertums verantwortlich – die Aufsätze über antike Kunstsammlungen bremischer Gelehrter und die Verwendung griechischer Bauelemente in der norddeutschen Architektur geben hiervon Zeugnis. Ihren traurigen Höhepunkt erreichte die Doppelbödigkeit der
Wahrnehmung im Zweiten Weltkrieg; die angebliche Seelenverwandtschaft von Griechen und Germanen hielt NS-Ideologen nicht vom Feldzug gegen Griechenland ab. Auch dieser Aspekt
bleibt im Buch nicht unerwähnt.
Der Band zieht eine ehrliche Bilanz zu einem nicht immer einfachen Verhältnis, das bis heute das wirtschaftliche, kulturelle und soziale Leben Bremens in nicht unerheblichem Maße beeinflusst. Zahlreiche Abbildungen sorgen für Anschaulichkeit.
Das Buch erscheint als Heft 22 in der Reihe Beiträge zur Sozialgeschichte.