Preisträger des Ben Witter Preises 2017
ENTDECKUNGSREISE INS EIGENE LAND
Es dauerte etliche Jahre bis der Schriftsteller Gerhard
Henschel einen Ratschlag in die Tat umsetzen konnte, den ihm 1986 sein
älterer Kollege Walter Kempowski gegeben hatte: „Eine Tour, die in
Bargfeld beginnt, sollte in Nartum enden“. Im Spätsommer 2015 brach er
schließlich zusammen mit dem Fotojournalisten Gerhard Kromschröder auf
und wanderte in zehn Tagen quer durch die Lüneburger Heide von Bargfeld,
wo der Schriftsteller Arno Schmidt lebte, nach Nartum, dem letzten
Wohnort Kempowskis.
Auf der 200 Kilometer langen Strecke gehen die Wanderer den
geistigen Verbindungslinien zwischen den beiden literarischen
Nachkriegskoryphäen Schmidt und Kempowski nach, mit wachem Blick für
Land und Leute, für historische Zeugnisse und anekdotische Fundstücke.
Keine Etappe gleicht dabei der anderen: mal führt sie durch schattige
Wälder oder industriell bewirtschaftete Ackerflächen, mal über
idyllische Pfade oder entlang verkehrsstarker Pisten. Und auf stille
Weiler folgen lärmende Gewerbegebiete. Immer wieder lassen sich die
Wanderer vom herben Oberflächenreiz der Heidelandschaft gefangen nehmen
und überall stoßen sie auf Tatorte und Spuren einer Epoche, über die in
den meisten Hochglanzreiseführern kein Wort verloren wird.
Das Wandertagebuch von Henschel und Kromschröder ist die
opulent illustrierte Chronik einer literarischen Entdeckungsreise ins
eigene Land, voller ungewöhnlicher Zufallsbegegnungen,
kulturgeschichtlicher Abschweifungen und unvoreingenommener Seitenblicke
auf eine Landschaft, deren spröder Charme viele in ihren Bann zieht.
Gerhard Henschel, geboren 1962 in
Hannover, machte sich einen Namen als Schriftsteller mit seinem
autobiographisch gefärbten Romanzyklus um sein Alter Ego Martin
Schlosser, zuletzt im „Erfolgsroman“ (2018). Er war persönlich bekannt
mit Kempowski, über den er auch ein Buch veröffentlichte: „Da mal
nachhaken. Wissenswertes über Walter Kempowski“. Henschel wurde mit
zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet.
Gerhard Kromschröder, geboren 1941 in Frankfurt am Main,
profilierte sich durch Undercover-Recherchen in der Neonazi-Szene für
das legendäre Satireblatt „Pardon“ sowie für den „Stern“. Er lebte als
Nahostkorrespondent in Kairo und berichtete im ersten Irak-Krieg als
einziger deutscher Reporter und Fotograf aus dem bombardierten Bagdad.
Kromschröder veröffentlichte zahlreiche Bücher und unterrichtete
Journalismus an der Universität Wien.
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